Wenn mich heute jemand fragt: „Wie geht es dir” sage ich: “Danke, es geht mir gut und ich bin zufrieden”.
Das war nicht immer so.
Rückschau: Ich stand mitten im Leben und war erfolgreich, verheiratet, eine 10jährige Tochter.
Im Verwandten- und Bekanntenkreis waren wir gern gesehene Gäste. Alles lief gut; fast perfekt.
Doch dann bemerkte ich bei meiner Frau Veränderungen, die ich zuerst nicht einordnen konnte. Sie hielt Verabredungen nicht ein; mal arbeitete sie und plötzlich kündigte sie. Sie schlief wenn ich von der Arbeit kam. Dazu kam eine Wesensveränderung und wir alle tappten im Dunkel.
Was war bloß los? Sie hatte begonnen heimlich zu trinken.
Nun begann ich immer mehr an Aufgaben zu übernehmen. Auch unsere Tochter half wo sie konnte. Wir nahmen meine Frau in Schutz, denn nach außen musste das Bild gewahrt werden. Wir redeten mit ihr und sagten ihr, dass das so nicht weiter gehen kann. Abends oder wenn wir alleine waren, schimpfte ich und der Ton wurde härter. Sie versprach aufzuhören, aber sie konnte es nicht. Sie wurde immer auffälliger. Um uns herum wurde es stiller. Leute tuschelten und redeten hinter unserem Rücken. Wir wurden nicht mehr eingeladen und unsere Einladungen sagte man ab.
Keiner wusste mehr wie er mit uns umgehen sollte. Unsere Tochter schämte sich Freundinnen oder Freunde mit nach Hause zu bringen. Freude rieten mir: “Du musst härter mit deiner Frau umgehen; entziehe ihr das Geld oder verprügele sie doch mal”.
Mir fiel auf, dass meine Frau den Alkohol trinkt und ich immer mehr Probleme damit bekam. Meine Gedanken kreisten nur noch. War ich auf der Arbeit, dachte ich an Zuhause und wie ich sie vorfinden würde oder ob sie überhaupt da war. Wenn ich Zuhause war und sie schlief weil sie getrunken hatte, wünschte ich mich lieber auf der Arbeit. Meine Frau machte eine Therapie.
Inzwischen hatten wir AA und Al-Anon kennen gelernt. Ein Schub von Hoffnung ging durch unser Leben. In den Meetings konnte ich nicht genug hören. Endlich bekam ich Werkzeuge an die Hand um meine Frau vom Trinken abzuhalten.
Dann der erste Rückfall und eine riesige Enttäuschung war in mir. Jetzt drohte ich sogar: “Wenn du noch einmal trinkst werde ich dich verlassen!” Unsere Tochter war konsequenter. Sie brach die Schule ab und begann 600 Km weiter eine Ausbildung. Ich drohte mit Auszug, aber ich konnte es nicht durchziehen.
Heute begreife ich nun endlich, dass ich keinen anderen Menschen ändern kann.
Zum ersten Mal frage ich mich: “Was will ich?” Ich will und kann nicht mehr mit einem Menschen zusammenleben der alkoholkrank ist. Das sagte ich auch meiner Frau und drohte wieder mit Auszug. Aber woher sollte sie wissen, dass ich es diesmal ernst meinte?
Der nächste Rückfall war nur eine Frage der Zeit. Ich zog aus. Jetzt begann ich mich auf mein Leben zu konzentrieren. Ich ließ mich wieder im Verein blicken und machte Sport. Meine Arbeit war mir wieder wichtig. Im Meeting lernte ich Zuhören und in offenen Meetings sagten AA-Freunde Dinge, die auch meine Frau gesagt hatte. Ihr hatte ich nicht geglaubt. Jetzt hörte ich Aussagen von fremdem Menschen und denen glaubte ich.
Meine Frau musste noch eine Zeit lang trinken. Dann beschloss sie aufzuhören. Sie war alleine und hatte niemanden mehr.
Sie hat es geschafft – ohne mein Dazutun.
Einige Zeit verging, dann telefonierten wir und dann trafen wir uns wieder. Wir besuchten beide eine AA und Al-Anon – Gruppe und ich hatte auch eine Therapie gemacht. Es gelang uns immer mehr einander mitzuteilen. „Weist du was in mir vorging ( oder heute vorgeht ) als damals das und das passiert ist?“ Wir lernten Zuhören und wir lernten Reden und einander zu achten. Mein Misstrauen hielt aber an und ich blieb in meiner Wohnung.
Mein Vertrauen wuchs mit jedem Tag und wir verbrachten immer mehr Zeit miteinander. Sie war ja die Frau, die ich liebte und mit der ich mein Leben verbringen wollte.
Unsere Tochter war mit dem 3ten Enkelkind schwanger als sie uns den Vorschlag machte, ob wir nicht alle zusammenziehen wollten. Wir suchten ein Objekt, in dem wir alle Platz genug hatten und leben seitdem in einer Großfamilie.
Wenn mich heute jemand fragt: „Wie geht es dir?” sage ich: “Danke, es geht mir gut und ich bin zufrieden”.
Ein Al-Anon
Ein Kommentar
Klingt wie im Märchen, aber da ich Al-Anon kenne, weiß ich, dass es keines ist. Ich freue mich immer sehr, wenn jemand zufrieden leben kann und die Zukunft nicht dunkel ist.