Was bedeutet wachsen?
Wachsen ist, sich entwickeln, nach etwas streben.
Für den Angehörigen eines Alkoholikers ist vorrangig das Streben danach entscheidend, aus seinem durch den Alkoholismus hervorgerufenen seelischen Tief wieder in ein gesundes und erfülltes Leben zurückzufinden.
Wer in die Al-Anon Meetings kommt, sucht hierfür Hilfe bei Menschen, die das gleiche Schicksal erfahren haben.
Auch ich durfte kennen lernen, was es bedeutet, in einer schweren Zeit in den Gruppen an die Hand genommen zu werden.
Ich habe dabei gelernt, über meine Probleme zu sprechen, meinen Freunden(innen) aufmerksam zuzuhören, manchmal schweigend zu lauschen und insbesondere nicht nur auf die Worte zu achten. Denn vieles, was zwischen den Worten mitschwingt, die Gefühle, die Erfahrungen, die Enttäuschungen, die Verzweiflung aber auch die Freude und Dankbarkeit, habe ich durch Hinhören mit dem Herzen mitbekommen.
Ich durfte aber auch erfahren, welch ein beglückendes Gefühl es ist, einen Freund, eine Freundin meinerseits an die Hand zu nehmen und sie ein Stück auf seinem/ihrem Weg zu begleiten.
Und nicht zuletzt habe ich gelernt, das anzunehmen, was ich nicht ändern kann, weil es zu meinem Lebensweg gehört und zu einem Teil meiner persönlichen Entwicklung zählt. Inzwischen ist es sogar für mich ein akzeptabler Gedanke, dass meine durch den Alkohol hervorgerufene Krankheit meine Aufgabe und meine Bürde ist, an der ich wachsen darf.
Wachsen, sich entwickeln zu dürfen ist fast wie eine Gnade, vergleichbar mit dem Vorzug für eine Pflanze, die einen guten Standort mit guten Bedingungen hat.
Manche von Euch werden mir vielleicht zustimmen, wenn ich sage, ich möchte eigentlich keinen Tag erleben, an dem ich nichts hinzugelernt habe. Hinzulernen erscheint mir wie ein Lebenselixier, denn sobald das aufhört, bin ich spirituell wie ein Sterbender. Denn durch neue Erfahrungen gefordert zu sein, bedeutet für mich in besonderer Weise auch gefördert zu werden.
Unser einzigartiges Al-Anon Programm bietet mir dazu viele Möglichkeiten, das sich außer meiner Familienkrankheit Alkoholismus auch auf mein ganzes Leben anwenden lässt.
Hin und wieder ist mir in Gesprächen mit älteren Menschen die Frage nach dem Sinn des Lebens begegnet. Manchen von ihnen scheint die Antwort hierauf inzwischen klar geworden zu sein.
Mir hat es jedenfalls gut gefallen, was mein 91-jähriger Freund sagte: „Für mich liegt der Sinn des Lebens im Reifen und dafür gab es in meinem Dasein manche Hürden, an denen ich wachsen durfte.“
Viele liebe Grüße und gute 24 Stunden
von einem Freund aus der Pfalz