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Meine Geschichte

GlobusIch bin Klaus, Al-Anon und in einer alkoholkranken Familie aufgewachsen.

Es ist mir eine sehr große Ehre hier zu sein, um ‘meine Geschichte’ zu erzählen.

In diesem Moment, wo ich hier und jetzt stehe, schließt sich fast ein halbes Jahrhundert nach meiner Geburt die Geschichte meines Lebens zu einem Kreis.

Meine Geschichte ist hauptsächlich eine Migranten- und Auswanderungs-Geschichte.
Schlesischer Nachkriegsflüchtling im Rheinland, verliebt sich mein Vater in eine Französin aus Paris in einem Münchener Studentenviertel der 50er Jahre.
Nach ihrer deutsch/französischen Hochzeit, komme ich in Freiburg im Breisgau in den frühen 60er Jahren auf die Welt.

Kurz danach sind wir drei nach USA emigriert als mein Vater einen hoch angesehenen Job an der medizinischen Fakultät einer Universität angeboten bekam. Wie viele Europäer in dem Alter meiner Eltern, war in diesen Jahren der ‘amerikanische Traum’ atemberaubend. So viel Reichtum! Alles so groß! Alles so sauber und effizient und modern! Raus vom alten, altmodischen, europäischen Muster.
Rein ins Neue, das ‘Land der unbegrenzten Möglichkeiten’!

Aber, der amerikanische Traum hatte seine Schattenseiten.
Als erstes musste wir alle mit dem damaligen, generellen Deutschenhass umgehen lernen; in allen Medien, aber besonders in meinen liebsten ‘Cartoons’ und ‘Comics’, waren die Deutschen immer die Bösen.
Gegen diese Tendenz, versuchte mein Vater so viel wie möglich den Stolz auf unsere deutsche Abstammung zu unterstützen.
Zum Beispiel, er brachte uns erst zu einem amerikanischen Supermarkt, wo er ein Weißbrot in die Hand nahm und zerquetschte es mit Gewalt (‘Pfui … Ami Brot’, sagte er uns).
Dann nahm er uns zu einem vernünftigen deutschen Bäcker in unsere Nähe, und nahm ein großes, dunkles und hart gebackenes Roggenbrot in seine Hand. ‘Schaut mal, Jungs’, sagte er zu mir und meinem Bruder, das ist echtes Brot!’

Aber im Laufe der Zeit hatte die Angst angefangen meinen Vater anzuknabbern. Angst, erfolgreich zu bleiben in seiner Forschung als Kardiologe eines berühmten Krankenhauses.
Angst, immer der starke Mann in der Familie zu sein. Angst, seine Gefühle zu zeigen.
Angst … einfach Angst vorm Leben.
Und es war gegen diese Angst, dass er angefangen hat zu trinken; erst nur ein Glas Wein vor dem Schlafen, als wir schon im Bett lagen. Dann härtere Getränke, und sanfte Drogen wie Haschisch und Pillen.

Mein Bruder und ich merkten gar nichts am Anfang. Aber wir merkten die Gefühlsschwankungen meines Vaters am Abendessentisch; seine manchmal strengen Regeln, die wir nie verstanden haben; die Unmöglichkeit uns zu sagen, dass er uns liebte, oder dass er auf uns stolz war;
das Gefühl dass er meinen Bruder und mich als Rivalen sah, statt als Söhne; oder die Art in der meine Mutter versuchte über die Ängste meines Vaters mit hoch intellektuellem Geplauder das Loch zu füllen, das sich vor uns öffnete wie ein Grab.

Wir ahnten einfach nicht, dass alle diese Verhaltensweisen mit dem Alkoholismus meines Vaters zu tun hatten.
Ich war so beschäftigt mit meinen eigenen Ängsten und Unsicherheiten als Kind mit “Migrationshintergrund”, dass ich keinen Raum hatte darauf zu achten, was los war mit meinen Eltern.
Wir haben alle unsere Überlebungsstrategien entwickelt; meine Mutter hat sich eine akademische Karriere aufgebaut aus diesen Zeiten, und Arbeit bleibt (mit ihren 77 Jahren noch!) ihre Rettung, um nicht zu nah an ihre eigenen Gefühle heranzukommen.

Eine amerikanische Uni hat mich gerettet genau im Höhepunkt des Alkoholismus meines Vaters und der Trennung meiner Eltern.

Leider hatte mein jüngerer Bruder keine Rettungsmöglichkeit an der Hand, aber letztendlich hat eine große philippinische Auswanderungsfamilie  ihn unter seine Flügel genommen, und eine Tochter dieser Familie ist jetzt seine Frau, mit 3 philippino-amerikanische Söhnen.

Mein Vater ist in AA eingestiegen, und bleibt AA treu. Er versucht jetzt, mit seinen 83 Jahren, nach Deutschland zurückzukehren, um seine letzten Jahre hier zu verbringen, weil das Krankenversicherungssystem in Deutschland so viel besser ist als in Amerika.
Der amerikanische Traum, so sieht es aus, ist vorbei.

Für lange Zeit, dachte ich, ich hätte mich rechtzeitig gerettet von dieser peinlichen Situation des Alkoholismus meines Vaters; es hätte nichts mehr mit mir zu tun.
Nach meiner Doktorarbeit bin ich in den späten 90ern Jahren nach Holland gekommen, um eine Forschungsstelle anzufangen.
Gegen den Strom der letzen 2 Generationen meiner französischen Familie, die immer in die Kultur eines anderen Landes eingeheiratet haben, bin ich zurück zu (einer von) meinen Wurzeln gekommen, und wohne jetzt am Niederrhein, mit einer deutschen Frau und einem Kind.

Alles gut. Fast traumhaft. Aber kurz nach unserem Umzug über die holländische Grenze nach Deutschland fing mein unerklärbares psychosomatisches Leiden an: Ängste, Panikattacken, Gefühle, als befände ich mich außerhalb meines Körpers, das ständige Gefühl Versager zu sein, obwohl ich immer sehr, sehr hohe Leistung zeigte (und noch zeige) in allen meinen beruflichen Aktivitäten.

Ich war verzweifelt. Meine Frau und mein Kind auch. Ich kann nur eine Erklärung finden: nach fast 25 Jahren bin ich gegen die Wand gestoßen.
Alle meine Gefühle, die ich aus der Zeit des Alkoholismus meines Vaters begraben hatte, sind hoch gestiegen und hat mich in meine ‘mid-life crisis’ gestürzt.

Und ich war hilflos dagegen. Eine Klinik hat mich gerettet in den letzten Monaten von 2011. Ich bleibe den Ärzten aus dieser Klinik unendlich dankbar, die mich von allerlei Pharmaka unabhängig gemacht haben, um wieder ins Leben kommen zu dürfen.

Als ich nach meiner Klinikzeit zurückkam, wusste ich, dass ich meine Situation nicht allein mit meiner Familie verkraften kann, und musste eine Selbsthilfe-Gruppe finden.
Ich habe deswegen Al-Anon gesucht, und im Frühjahr 2012 bin ich Mitglied geworden in einer Gruppe mit 8-10 starken Frauen, die mich aufgenommen haben mit solidarischer Aufmerksamkeit. Gott sei Dank für Al-Anon.

Kurz danach bin ich, zweimal Auswanderer und Migrant über den Atlantik, zurück in meiner ‘Heimat’ nach 30 Jahren, als Gruppenrepräsentant einer deutschen Al-Anon Gruppe nominiert worden. Was für ein Schicksal. Fast 50, Ich weiß es schon: es gibt keine Zufälle im Leben.

Durch meine Al-Anon Erfahrungen kann ich jüngere Leute unterstützen, in meinem beruflichen Bereich sowie bei meiner Al-Anon Gruppe, meiner Öffentlichkeitsarbeit und in meinem Dienst als Gruppenrepräsentant.

Endlich lerne ich, ganz langsam, die Kriegs- und Auswanderungsängste meines Vaters zu überwinden. Es wird ein langer Prozess sein, mit vielen Rückfällen … aber ich bin auf dem Weg.

Ich danke euch ganz herzlich fürs Zuhören.
(erzählt anlässlich eines Al-Anon Jubiläum in Rees-Haldern)

 

2 Kommentare

  1. Thomas schrieb:

    Vielen Dank, Klaus, für das Teilen Deiner Geschichte. Wir dürften ein ähnliches Alter haben und unsere Geschichten haben Parallelen. Wie gut ist es doch, Gleichgesinnte zu treffen und in Al-Anon zu genesen.
    Thomas, Erwachsenes Kind auseiner alkoholkranken Familie

    Freitag, 25. Januar 2013 um 11 | Permalink
  2. Sabine P. schrieb:

    Puh, Deine Geschichte unterscheidet sich sehr von meiner. Aber eins verbindet uns, Anhgehörige von Alkoholikern zu sein.
    Danke Dir !
    Sabine

    Samstag, 23. Februar 2013 um 20 | Permalink
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