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Mein Weg geht da lang, wo die Angst ist

FotoWut ist ein starkes Gefühl. Ich überdeckte lange Angst mit explosionsartigen Wutanfällen. Nicht bewusst. Natürlich nicht. Wer tickt schon gerne so unfassbar aus, dass er Dinge durch die Wohnung schmeißt, jemanden ohrfeigt, beleidigend und verletzend wird etc.
Diese emotionalen Aussetzer habe ich nicht mehr. Der Gefühlsrausch überrollt mich nicht mehr, seit ich mir meiner Ängste bewusst bin. Mein Weg geht da lang, wo die Angst ist.
An dieser Entwicklung hat Al-Anon den Hauptanteil. Vor meiner ersten Inventur hatte ich keine Ahnung, welche Ängste mein Denken und Verhalten steuern, denn ich erlaubte mir damals vermeintlich schwache Gefühle nicht. Ein Überbleibsel aus meiner Kindheit, in der es darum ging, die Fassade um jeden Preis zu wahren und Stärke in jeder Situation auszustrahlen.
Ich fühle Angst heute bewusst. Ich schau sie mir an und gestatte meinen Ängsten da zu sein. In Ruhe betrachtet werden sie kleiner für mich. Kontrollverlust ist dabei ein immer wieder zu erkennender Angstauslöser. Ich ertappe mich dann dabei, dass ich aus Angst krampfhaft versuche Dinge zu kontrollieren, die nicht in meiner Macht liegen.

Dies zu erkennen ermöglicht mir bewusstes Loslassen der Angst. Loslassen und Gott überlassen, was nicht in meiner Macht steht.
Auch Wut erlaubte ich mir nicht. Sie wurde mir in meiner Kindheit aberzogen und ich war deshalb lange nicht fähig, sie dosiert und kontrolliert raus zu lassen. Ich dachte, bevor ich den Zusammenhang mit der darunter liegenden Angst entdeckte, dass meine Wutanfälle mein größter Charakterfehler sind und schämte mich für sie.
Ich unterdrückte die aufsteigende Wut aus Angst vor dem nächsten Wutausbruch und Scham über den letzten davor liegenden. Natürlich führte die aufgestaute, weggedrückte Wut wieder zur unkontrollierbaren Entladung mit Knall an unmöglicher Stelle. Ein Teufelskreis, den ich mit Hilfe des Programms durchbrechen konnte.
Wut sehe ich heute völlig anders. Nämlich als Triebfeder zur Veränderung. Ich spüre sie als Knoten in meinem Bauch. Sobald der Knoten da ist, arbeite ich mit unserem Slogan „Denke“ und gehe aus der Situation, um wieder klar zu werden. Das kühlt mich runter und gibt mir Zeit genauer in mich zu schauen.

Warum bin ich wütend? Welche meiner Bedürfnisse werden nicht erfüllt? Was kann ich tun, um das zu ändern? Was davon kann ich mir selbst erfüllen und wo ist die Grenze meiner Macht? Welchen Wunsch an meinen Partner kann ich formulieren? Und ab wo habe ich meine Fußarbeit getan und darf abgeben und Gott überlassen?
Wenn mich heute jemand oder etwas wütend macht, dann suche ich nach dem Warum in mir. Das klappt meist gut, aber im emotionalen Ausnahmezustand der Coronakrise war ich doch wieder ins alte Verhalten zurückgerutscht. In der Krise brachen die gewohnten Strukturen zusammen. Der Alltag zwischen Job, Kindern, Haushalt und aufkommenden Existenzängsten musste neu organisiert werden. Mein Mann steckte den Kopf in den Sand, statt der Krise aktiv entgegen zu gehen.

In diesem Machtvakuum habe ich mir wieder Verantwortung aufgebürdet, die nicht meine war. Ich lebte im Kampfmodus lange über meine eigenen Grenzen Schließlich war ich fix und fertig, fühlte mich nicht wertgeschätzt und war wütend, weil ich mich nicht um meins, sondern um seins gekümmert hatte und dafür logischerweise nicht die Wertschätzung bekommen habe, die ich mir dafür in meinem verdrehten Denken gewünscht hätte.
Ich fand ein alternatives Kontroll-, Macht- und Verantwortungsfeld obwohl Alkohol gerade kein Thema ist. Kontrolle, Machtausübung, Entmündigung und Kleinmachen des Partners haben viele Gesichter. Sie sind offenbar ebenso wie nasses Verhalten bei trockenen Alkoholkranken in uns Angehörigen.
Ich bin machtlos darüber, andere und unkontrollierbare Situationen kontrollieren zu wollen. Ich bin machtlos darüber, in einem Machtvakuum die Macht zu ergreifen und ich bin machtlos darüber, mich für Dinge, die nicht in meiner Macht stehen, und andere Menschen verantwortlich zu fühlen.

Ich bin ein erwachsenes Enkelkind aus alkoholkranker Familie. Eine Angehörige …und Gott sei Dank eine Al-Anon, denn ich kenne die Macht von Loslassen und Gott überlassen. Ich weiß und fühle, dass ich geliebtes Kind Gottes bin, so wie ich bin. Ich wünsche mir, dass ich mit Gottes Hilfe meinem Mann seins jeden Tag ein bisschen besser überlassen kann – damit ich mich besser um mich kümmern und mit mir entsprechender leben kann. Mein Leben soll kein Kampf mehr sein, sondern von guten Mächten wunderbar geborgen.

2 Kommentare

  1. Silke schrieb:

    Danke, danke, danke für diesen Beitrag. Auch ich bin ein Enkelkind aus alkoholkrankem Elternhaus, was natürlich nie entsprechend thematisiert wurde. Die Wut, die rundum in der Familie vorhanden war, durfte nie ihren Weg nach außen finden. Mein Vater ging ans Klavier, meine Mutter fiel in eine ihrer Krankheiten und bei uns Kindern hieß das: „Schmeiß den Dullkopf aus dem Fenster.“ Das tat ich brav, aber die Wut blieb. Es kostet manchmal Kraft, die Ängste nicht in Wut umzuwandeln. Dank Al-Anon und meiner Werkzeuge bekam mein Sohn eine Pompfe (Schaumstoffrolle) und durfte damit seine Anfälle äußern und sie loslassen. Wir arbeiten weiter daran, denn das Leben ist nun mal eine große Herausforderung.

    Montag, 24. August 2020 um 14 | Permalink
  2. Monika schrieb:

    Ja, genau darin kann ich mich auch wiederfinden. Durch Al-Anon habe ich gelernt genau hinzuschauen und mir meiner Angst bewusst zu sein. Heute habe ich Werkzeuge mit meiner Angst umzugehen! Ein Meeting besuchen, mit Freunden im Programm telefonieren, Literatur lesen. Ich finde immer eine Lösung! Danke für den tollen Beitrag!
    Monika

    Freitag, 11. September 2020 um 09 | Permalink
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