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Ich möchte dahin, wo du auch bist

Foto, Schmetterling auf roten RosenMir hallen noch die Worte meines Mannes in den Ohren, dass er gerne in Ruhe mit mir sprechen würde und schlug vor, dies auf einem Spaziergang zu tun. Wir waren also eine gute Stunde zusammen laufen und da fiel ein Satz, den ich hier im Beitrag von Freunden schon oft gehört habe, den mir aber noch nie jemand gesagt hat: „Ich möchte dahin, wo du auch bist.“

Ich dachte sofort an unser Prinzip der Anziehung statt Werbung, war aber erst mal still und ließ ihn reden. Er sagte sinngemäß:
„Wie hast du deine Wutausbrüche in den Griff bekommen?

Wie hast du es geschafft zu sagen, was du zu sagen hast?

Wie spürst du, was du brauchst?

Ich merke, dass das, was ich von meinem Elternhaus kenne, nicht das ist, was ich heute in unserer Beziehung leben möchte – auch mit den Kindern, im Familien- und Paarleben. Ich weiß aber nicht, wie ich mein Verhalten ändern soll.“

Ich holte tief Luft und erzählte von mir, so wie ich es im Meeting auch mache. Ich erzählte ihm, dass ich es anders probiere, wenn mich selbst etwas an meinem Verhalten stört, und dass ich dabei Fehler mache und manchmal falle.

Irgendwann finde ich dann einen Weg für mich und manchmal findet der Weg mich, so wie heute. Ich erzählte weiter, dass ich nach wie vor in Al-Anon bin, und dass ich heute für viele Situationen, Slogans und Sätze aus unserer Literatur verinnerlicht habe, die mir dabei helfen auf meinem selbst gewählten Weg zu bleiben und mich nicht mehr so oft in den Fäden der Vergangenheit zu verheddern.

Als ich von unserem Tagesspruchbuch „Hoffnung für heute“ mit guten Gedanken für Angehörige und Menschen, die selbst in alkoholkranken Strukturen aufgewachsen sind, erzählte, überraschte er mich mit den Worten: „Kann ich so eins mal haben?“ Klar bekommt er mein Tagesspruchbuch „Nur einen Tag nach dem anderen“.
Ich bin noch ziemlich verwundert über diese Wendung, denn meine Zugehörigkeit zu Al-Anon war für ihn über viele Jahre ein rotes Tuch. Als er noch trank sowieso. Er hat vor heute glaube ich nie begriffen, dass Al-Anon ein geschützter (weil anonymer) Entwicklungsraum für Angehörige und Menschen, die in akoholkranken Familien aufgewachsen sind, sein kann. Als Enkelkind eines Alkohol missbrauchenden Menschen, das in einem reinen Angehörigen Haushalt aufwuchs, fühle ich mich heute als Erwachsene zu Hause in unserer Al-Anon Familiengruppe Gruppe, denn hier werden mir viele Spiegel geboten, um über mich selbst etwas zu lernen, nachzureifen und zu wachsen.
Seit er nicht mehr zum Alkohol greift, sehe ich in meinem Mann ziemlich oft den Menschen, der in alkoholkranker Familie aufgewachsen ist. In der Gruppe ist es einfacher für mich meine Erfahrungen mit Neuen zu teilen, bei meinem Mann fühlt es sich komisch an, weil er ein Teil meiner Erfahrungen ist. Heute war es richtig, die Erfahrungen mit ihm zu teilen.

Eine Al-Anon aus dem Online-Meeting Family + Friends

3 Kommentare

  1. Silke schrieb:

    Wunderbar, mal ein Beitrag über den generationsübergreifenden Einfluss des Alkoholismus. Meine Informationen über den trinkenden Großvater kamen eher als Schwank aus der Kindheit rüber, denn als furchtbares Erleben. Gewalt, HA, HA; kein Geld, die Oma war geizig; dauernde Umzüge; wir haben viele Leute kennengelernt usw. Nach den eigenen Erfahrungen gibt es da nichts zu lachen, sondern das macht Menschen krank, auch wenn es erst in der nächsten Generation richtig auffällt. Danke.

    Montag, 20. Februar 2023 um 15 | Permalink
  2. Heike schrieb:

    Berührend und kraftvoll zugleich dieser Text! Wie unser gelebtes Al-Anon Programm wahrhaftig anziehend wirken kann, und beim Partner dadurch etwas angestoßen wird – hoffnungsvoll.

    Donnerstag, 23. Februar 2023 um 16 | Permalink
  3. Frank schrieb:

    Mir laufen gerade die Tränen, und zwar vor Freude!
    Ich bin in einer von physischer und geistig-seelischer Gewalt geprägten Familie aufgewachsen und musste selbst über 16 Jahre trinken. Der Weg zu Al-Anon führte über ein trinkendes Geschwister, das ich unbedingt retten wollte. Ich bin kläglich gescheitert. In Al-Anon habe ich Trost und Hoffnung und vor allem die Kraft gefunden, die für mich so überlebenswichtig ist, um einen gesunden Umgang mit den seelischen Verheerungen pflegen zu können, die Alkoholismus in meinem Leben verursacht hat.
    Es ist schön zu erleben, dass es Genesung von den Folgen und damit ein Leben gibt, das mehr von Lebenslust und Lebensfreude und vor allem von echter Liebe als von Angst, Zorn, Verlusten und Trauer geprägt ist.

    Sonntag, 26. Februar 2023 um 16 | Permalink
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