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Ich lernte Selbstfürsorge, als mein Mann noch trank

Foto mit Blick in die LandschaftBei mir war es ein großer innerer Leidensdruck, der mich dazu veranlaßte, meinen Mann mit seiner Sucht zu konfrontieren. Ich hatte mir die Trinkerei lange kommentarlos angeschaut und einen schönen Tages sagte ich ihm auf den Kopf zu, dass ich glaube, dass er gerade eine halbe Kiste Bier intus hat. Er leugnete.
Ich sagte, dass ich ihn die neue Kiste habe hinstellen sehen, ging zur Kiste und schnippte die “getarnten” wieder zu gedrückten Kronkorken runter. Drehte mich kommentarlos um und ging wieder rein. Am nächsten Tag sagte ich ihm, dass ich mir nicht vorstellen kann mit einem Alkoholiker zusammen zu leben und dass ich mit ihm weitergehe, wenn er aufhört zu trinken und gehe, wenn er das nicht tut.

Heute weiß ich, dass ich nicht das Recht habe, jemandem den Stempel Alkoholiker aufzudrücken. Das Wort kommt mir nicht mehr über die Lippen. Ich hätte in dieser Situation auch nicht damit drohen sollen, ihn zu verlassen, denn zu diesem Zeitpunkt meinte ich nicht, was ich sagte.
Heute bin ich vorsichtiger in meiner Wortwahl und versuche möglichst genau das in Worte zu fassen, was ich meine. So kann ich hinter dem stehen, was ich sage und tun, was ich ankündige.Die Bierkiste verschwand aus unserer Garage… stattdessen fand ich im Nachgang noch zweimal Flaschen… Wodka gemixt mit RedBull… getarnt in Wasserflaschen. Ich kennzeichnete sie mit großem x, sagte meinen Jungs, dass sie aus der Flasche nicht trinken dürfen, weil Papa da was Komisches reingefüllt hat und stellte die Flasche jeweils mitten auf den Esszimmertisch an seinen Platz. Kommentarlos.
Er nahm sie eben so kommentarlos weg.
Ich zog aus dem Schlafzimmer aus, weil ich den Alkohol-Atem nicht mehr riechen wollte. Ich küsste ihn nicht mehr, weil ich den Atem nicht mehr kontrollieren wollte. Ich vermied es, die Garage zu betreten, um nicht in Versuchung zu geraten, nach Flaschen zu suchen. Irgendwann verschwand dann auch der Druck zu suchen. Ich zog mich, im Rückblick betrachtet, ziemlich radikal von ihm zurück, um mich zu schützen… dass ich ihm dadurch auch Platz für sich gab, begriff ich damals noch nicht.

Ich gab mir Schutz, indem ich mir Abstand gab und mich auf mich konzentrierte. Ich kümmerte mich um mich. Jedes Mal wenn ich das Bedürfnis hatte ihn zu kontrollieren, Flaschen zu suchen, etc. habe ich mir die Schuhe angezogen und bin laufen oder habe im Garten gearbeitet, habe ein Bad genommen, Joga gemacht, geputzt wie wild, in unserer Literatur gelesen, hier gelesen und immer wieder dazu geteilt.
Das nahm mir den Druck und gab ihm den Platz um sich selbst einzugestehen, dass er die Kontrolle über seinen Alkoholkonsum verloren hatte. Er hatte Glück gehabt… die Punkte Dosissteigerung und heimlicher Konsum waren bereits erfüllt… er brauchte keinen körperlichen Entzug um aufhören zu können. Aber die seelischen und geistigen Folgen des jahrelangen übermäßigen Konsums sind auch heute noch spürbar. An einem Tag mehr, am anderen weniger. Es ist nicht einfacher, nur anders geworden.

Bin ich gleichgültig meinem Partner gegenüber, wenn ich darauf schaue, dass ich seelisch, geistig und körperlich bekomme was ich brauche, um stabil und lebensfähig zu bleiben? Für mich steht hier ein klares NEIN.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich kann ihn lieben und deshalb loslassen, damit er die Chance hat zu einem ihm entsprechenden Leben zu finden und ich kann gleichzeitig mich selbst lieben und gut für mich sorgen, damit ich mit mir entsprechend leben kann. Loslassen hat für mich nichts mit Gleichgültigkeit zu tun. Zu mir hin wenden, hat für mich nichts mit gleichgültigem Abwenden vom Partner zu tun.
Ich treffe Entscheidungen für mich, nicht gegen ihn. Eine Freundin hat hier mal sinngemäß geschrieben: Fallen lassen passiert mit den Handflächen nach unten gerichtet und ist lieblos. Loslassen passiert mit den Handflächen nach oben gerichtet im Vertrauen darauf, dass meine (und seine) Höhere Macht es besser kann als ich (und er). Das verstehe ich unter liebevollem Loslassen.

Eine Al-Anon Freundin aus dem Online Meeting

 

Ein Kommentar

  1. g. schrieb:

    dein artikel ist so nah u ehrlich – er hat mich tief berührt.
    von herzen danke

    mutter eines alkoholabhängigen kindes

    Samstag, 19. Juni 2021 um 13 | Permalink
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