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Ich kann einfach nur da sein

Bei meiner aktuellen Morgenlektüre in unserem Buch „In all unseren Angelegenheiten“ traf mich dieser Satz wie ein Paukenschlag!
Ich konnte spüren, erkennen: Heute kann ich das tatsächlich immer besser! Wie der Autor in dem Text wuchs auch ich in einer alkoholkranken Familie auf und wurde für „mein Tun oder Lassen“ geliebt oder abgewertet.
Immer in Aktion zu sein wurde zu meinem Lebensmotto. Schmerzhaft kamen mir Bilder aus meiner Zeit als Mutter mit noch kleinen Kindern in den Sinn. Waren sie z.B. krank oder traurig musste ich sofort etwas tun; ich konnte nicht einfach erst mal nur da sein und zuhören oder Halt geben. Ständig prüfte ich, ob meine Taten auch „richtig“ waren, las hektisch in Ratgebern zur Erziehung und zum „kranken Kind“; schlief schlecht oder kaum; immer damit beschäftigt, das Wundermittel zu finden und die perfekte Mutter zu sein.
Und: Irgendwas war ja immer. Somit war ich „lebenslang mit dem Außen“ beschäftigt. Zur Ruhe kommen war ein Fremdwort für mich. Bis ich mit dem Rücken zur Wand stand.

Ehe und Familie waren zerbrochen. Meine Gesundheit hing am dünnen Faden…dann hörte ich von Gruppen für Angehörige von Alkoholikern und ich gab Al-Anon eine letzte Chance.

Schon beim ersten Mal spürte ich eine Form von Erleichterung, die ich lange nicht beschreiben konnte, wofür ich keine Worte in meinem Sprachschatz hatte.
Ich durfte einfach nur da sein, wurde herzlich begrüßt, wurde angenommen…und musste nichts dafür tun! Meine Heilung hatte dadurch schon behutsam begonnen. Das zog mich an und ich wollte mehr.

Ich „hörte zu und lernte“. Erkannte mich in vielen Geschichten der Mitglieder wieder, im Meeting und in der Literatur. Hier durfte ich eine Höhere Macht, wie ich sie verstehe, finden. Ich lernte, in ihr zur Ruhe zu kommen, sogar loszulassen und abzugeben. Ganz langsam arbeitete ich mich durch das Programm, übernahm Dienste – und bin zum Glück immer noch dabei.
Dadurch kann ich auch mit der aktuellen Diagnose einer schweren, unheilbaren Krankheit eines meiner nun erwachsenen Kinder ganz anders umgehen. Ich übe mich darin, da zu sein, zuzuhören, Halt zu geben, mit Liebe, Mitgefühl und Verständnis – in den Situationen, in denen ich das Gegenüber bin, was es braucht…und weiß, auch mein Kind hat seine eigene Höhere Macht.
Unsere Gemeinschaft bietet mir immer die Werkzeuge für ein gesundes, erfülltes Leben – was auch immer geschieht – und das „lebenslang“!
In tiefer Dankbarkeit, eine Angehörige

2 Kommentare

  1. Silke schrieb:

    Wunderbar dieser Satz: „einfach nur da sein“, aber wie schwer ist es mir früher gefallen, das Dasein nicht mit Aktionen zu erweitern. Helfen, kümmern und für meine Mitmenschen die Wogen zu glätten fiel mir leicht und ich blieb auf der Strecke. Al-Anon hat mir den Ausweg von der Überholspur gezeigt. Ich darf diese neue Spur benutzen und werde trotzdem gemocht. Vielleicht sogar mehr als vorher, denn jetzt ist es ein „da sein“ mit mehr Platz für das Gegenüber. Danke, für die vielfältigen Gedanken in diesem Medium

    Dienstag, 8. September 2020 um 08 | Permalink
  2. Monika schrieb:

    Wenn ich nicht die Kümmerkrankheit mit meiner Erziehung aufgesaugt hätte, wären die Alkoholkranken in meinem Leben wohl völlig unbeachtet an mir vorbeigezogen! Aber so war es nicht. Diese Männer haben mich magnetisch angezogen. Heute, als ich einen dieser Männer traf, spürte ich keinen Magneten mehr! Jubel, ich bin geheilt! Danke für den ehrlichen Beitrag, danke Al-Anon und danke Euch allen die ihr mir auf dem Weg der Genesung geholfen habt!

    Freitag, 11. September 2020 um 09 | Permalink
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