Während meiner Ehe mit dem trinkenden Ehemann lag ich oft nachts im Bett und betete zum Gott meiner Kindertage. Etwa: Lieber Gott lass ihn endlich aufhören zu trinken, damit es mir gut geht. Oder: Lieber Gott lass ihn heute mal nüchtern bleiben, damit unsere Freunde einen guten Eindruck von uns haben.
Da diese Gebete nicht gehört wurden, was eigentlich vollkommen klar war, schickte ich den Gott meiner Kindheit in die Wüste. So wie das Vertrauen in die Menschen schrumpfte, wurde auch das Vertrauen in etwas größer als ich immer kleiner.
Vom Vertrauen in eine Höhere Macht sprachen aber die Menschen in den Meetings, die ich nach einiger Zeit besuchte. Für manche war es ein Gott oder eine Göttin, andere sprachen von einer Höheren Kraft, wieder andere empfanden den Geist der Gruppe als die tragende oder liebende Kraft für eine Veränderung. Zuerst konnte oder besser wollte ich nichts davon hören. Ich hatte ja meine Erfahrungen bei der Bitte um göttliche Hilfe. So versuchte ich es mal mit dem Hinweis eines Freundes, der schon länger in der Gemeinschaft war. Er meinte: „Tu einfach mal so als würdest du an eine Höhere Macht glauben und dann frage dich, hab ich mein Bestes getan.“ Oh was für eine Unterstützung. Damit war ich noch verwirrter, aber ich war bereit es zumindest mal zu probieren. Es brauchte viele Übungsstunden um anzuerkennen, dass ich nicht die Höhere Macht bin und in manchen Situationen ist es nicht leicht einfach mal die Finger still zu halten. Aber die folgende Begebenheit hat mir gezeigt, es geht nur so.
Ich saß auf unserer weinüberrankten Terrasse und war in meine Morgenmeditation vertieft. Nach dem Lesen eines Textes zu den Schritten las ich die Frage: „Wie erkenne ich Gottes Willen?“
Unverzüglich musste ich lachen. Ich saß unter vertrocknenden Weinreben mit vom falschen Mehltau gezeichneten Trauben.
Wie das, wo ich doch in diesem Jahr alles getan hatte um die kostbare Ernte auch einfahren zu können. Früh im Jahr hatte ich gegossen, da das die Blütenanlage unterstützt. Regelmäßig hatte ich die Pflanzen mit einem Mittel gegen Mehltau gespritzt, damit die angesetzten Früchte auch wirklich gut würden. Ich hatte die Stöcke ausgegeizt, damit Licht und Luft noch besser an meine Trauben kommen konnte. Ich schwelgte schon in Phantasien über den großen Ernteeinsatz und die vielen Gläser Gelee, die ich dieses Jahr für uns und die Freunde kochen konnte. Nicht zu vergessen die leckeren Mahlzeiten mit Käse und Trauben. Alles mein Wille.
Es kam anders.
Unsere Höhere Macht schickte viel Regen und kaltes Wetter und damit den Nährboden für die gefürchtete Krankheit. Innerhalb von nur einer Woche wurden viele Blätter braun, die Früchte bekamen einen Grauschleier und platzten auf. Ade schöner Traum von der Rebenernte. Etwa 90% wurde als Abfall entsorgt. Unsere Höhere Macht hatte etwas anderes vor als ich und trotzdem bin ich nicht enttäuscht. Ich frage mich wie so häufig, wenn es nicht nach meinem Willen läuft: „Habe ich mein Bestes getan?“
Ja, das habe ich, es war nur anders vorbestimmt. Was nützt es mir nun, mich zu ärgern. Nichts, denn im nächsten Jahr gibt es eine neue Chance.
So sehe ich auch mein heutiges Leben. Was nützt es, mich über die Jahre mit dem trinkenden Alkoholkranken zu grämen. Ich habe das mir damals mögliche getan. Habe meinen Ehemann umsorgt und ihn gepflegt. Habe alles getan, damit er vor den Aufregungen des Lebens beschützt war. Habe gelogen und vertuscht, aber es hat nichts am Trinkenmüssen geändert. Es war uns anders vorbestimmt. Das neue Leben fing an, als ich zu Al-Anon kam und langsam meinen Willen an eine Höhere Macht abgeben lernte. Ich mache die Fußarbeit und das Ergebnis liegt nicht in meiner Hand. Manchmal bin ich damit sehr zufrieden, manchmal hätte ich es gerne anders. Aber weiß ich denn, ob es anders besser wäre?
Eine zuversichtliche Al-Anon