„Ich fühle mich so allein. Es gibt niemanden, mit dem ich reden und etwas teilen kann.“
Diese beiden Sätze einer Neuen bei Al-Anon klingen mir noch heute in den Ohren. Ist das nicht ein seelischer Aufschrei, der kaum jemanden unberührt lässt?
Auch hier war die Familienkrankheit Alkoholismus wieder der große Zerstörer. Der Mann, inzwischen nach langer Abhängigkeit am Alkohol zugrunde gegangen, die Kinder weit verstreut und ohne Kontakt zur Mutter und die Mutter selbst: einsam und seelisch wund.
Solche Menschen finden manchmal zu Al-Anon, und wenn sie Glück haben, finden sie da eine neue Familie – eine Al-Anon Familie.
Anfangs begegnete auch ich den Freunden in der Gruppe etwas zurückhaltend, doch bald fühlte ich mich von einer wohltuenden menschlichen Wärme umgeben. Und so geht es auch anderen. Nicht sofort, aber doch nach und nach können sie sich öffnen. Und wie in einen ausgetrockneten Brunnen, der plötzlich wieder an eine Wasserader Anschluss findet, fließt ihnen Trost und Lebensenergie zu.
Sobald Menschen in Not die Erfahrung machen dürfen, welche Bedeutung es hat, sich aufgefangen zu fühlen; sobald sie wahrnehmen, wieder ein Teil einer Gemeinschaft zu sein – dazu zu gehören – wachsen ihnen neue Kräfte zu.
Die Natur zeigt mir genügend Beispiele, wie schwach und verletzlich sich manches Einzelwesen fühlt, das ganz auf sich allein gestellt ist und wie wunderbar andererseits eine Gemeinschaft tragen kann.
Ich brauche z.B. nur an die geheimnisvollen Schutzkräfte und Fähigkeiten zu denken, die ein Vogelschwarm dem Einzelindividuum bietet. Füreinander da sein, das ist vergleichbar mit einem Schutzanzug, der mich sicher umgibt, so dass mir kaum jemand etwas anhaben kann. Sobald ich aber einen Schutzanzug gerne in Anspruch nehme, muss ich ihn auch pflegen, sonst wird er spröde. Und so wie ich für eine Sache verpflichtet bin, so bin ich auch für meine Gemeinschaft verantwortlich, die mir Geborgenheit und Schutz gibt.
Füreinander da sein– so glaube ich – ist keine „Einbahnstraße“. Es funktioniert nur mit einem Nehmen und Geben.
Wenn ich an die verzweifelte Neue Freundin denke, von der ich zu Anfang sprach, so wird sie mit der Zeit erfahren, dass sie in ihrer neuen Al-Anon Familie erst richtig angekommen ist, wenn auch sie bereit ist, etwas zurückzugeben, nämlich der Gemeinschaft zu dienen.
2 Kommentare
Auch für mich wurde Al-Anon meine 2. Familie, wo ich mich oft besser verstanden fühle, wie in der Eigenen. In den Diensten bei Al-Anon habe ich nicht nur gegeben, sondern auch viel für mich gelernt!!!
Vielen Dank für den schönen Artikel. Für mich ist „Al-Anon bedeutet, nicht mehr allein zu sein und nicht mehr alles allein zu machen“ gerade nochmal neu da: es wird ein Prinzip, das ich versuche, konkret anzuwenden- für mich und auch, wenn ich im Sinn des 12. Schritt unterwegs bin. Zum Beispiel versuche ich, dreimal die Woche jemand aus dem Programm anzurufen und zu sagen, wie es mir geht (eine Hausaufgabe meiner Sponsorin). Dienste sind mir dabei ein sehr geschätztes Werkzeug geworden- ich nutze sie, um mich an das Programm zu binden, und um zu lernen. Oft sind sie eine Brücke zurück zu mir. Gleichzeitig war es aber auch Teil meines Prozesses, dass ich für manche Dienste noch nicht bereit bin oder war- dass es gut war, zu warten, bis „ich sollte“ nicht mehr die einzige Motivation zum dienen ist, sondern meine Intuition, die mir sagt, dass da jetzt mein Platz ist..