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Der Anfang der Reise in Al-Anon

LandschaftsfotoIn unserer Al-Anon Online-Gruppe Family + Friends lese ich immer wieder Beiträge von Neuen, in denen es um das Gefühls-Chaos geht, das der Reisebeginn mit Al-Anon auslösen kann. Ich kenne die zwiespältigen Gefühle ziemlich gut, die es anfangs in mir auslöste mich auf das, was mir gut tut, statt auf das Umkreisen meines Partners zu konzentrieren.

Ich hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen, wenn ich es mir gut gehen ließ, obwohl es meinem Partner schlecht ging. Das Ganze wurde von meinem Mann damals durch Bemerkungen angeheizt. Dass sie tatsächlich gezielt manipulativ eingesetzt wurden, möchte ich heute gar nicht mehr unterstellen. Ich glaube heute, dass mein Mann damals einfach ziemliche Probleme mit der Annahme meiner Veränderung hatte, und dass deshalb seine Gefühle mit ihm Tango tanzten.

Es fielen Bemerkungen wie: “Dir geht´s zu gut”. “So schön möchte ich es auch mal haben.” “Du ruhst dich auf meinem Rücken aus.” Das zog mich emotional ziemlich runter. Suggerierte es mir doch, dass mein Mann mich als Faulenzer und jemanden, der auf seine Kosten lebt, sah. So jemanden kann man ja nicht lieben. Ich fühlte mich also nicht geliebt und angenommen.

Auf der einen Seite fühlte ich sogar sehr klar, dass seine Sprüche Gift für mich waren. Auf der anderen Seite konnte ich mich aber nicht wirklich dagegen abgrenzen, da ja die Schuldgefühle in mir waren, wenn ich es mir gut gehen ließ, obwohl es ihm schlecht gingund ihm ging es zu der Zeit dauerschlecht…zuerst weil er trank und dann weil er nicht mehr trank.Ich teilte damals mehrfach, dass ich mir wünsche, dass mein Partner mir gönnt, wenn es mir gut geht und dass wir heftig über meine Auszeiten streiten. Es dauerte, bis ich im Rahmen meiner ersten Inventur darauf stieß, dass seine Sprüche und sein Urteil über mich nicht das Problem sind. Mein Problem war es, dass ich mich nicht geliebt fühlte und Schuldgefühle entwickelte, wenn ich mein Wohl an die erste Stelle stellte.

Mir fehlte ein heftiger Batzen Selbstliebe. Ich selbst gönnte mir meinen neuen Lebenswandel nicht ohne Einschränkung und nahm deshalb seine Bewertung zumindest unterbewusst als vermeintlich korrekte Wiedergabe der Tatsachen an. Daraus entstanden unendliche Triaden von Rechtfertigungen. Ich stellte mich damit regelmäßig selbst mit dem Rücken gegen die Wand – machte mich zum Opfer und ging schließlich wütend zum Gegenangriff über, wenn ich mit meinen Rechtfertigungen auf Granit biss und seine Meinung über mich nicht besser wurde. So lud ich weitere – dieses mal reale Schuld auf mich – durch für mich unkontrollierbare Wutausbrüche meinerseits.

Mich nicht mehr dafür zu rechtfertigen, wenn ich mir Gutes tat, war ein wichtiger Schritt für mich. Ich entwickelte langsam ein Selbstverständnis dafür, dass es nun mal meine naturgegebene / gottgegebene Aufgabe ist, gut für mich zu sorgen. Wer soll das tun, wenn ich es nicht tue? Ich bin dafür verantwortlich, dass ich alles dafür tue, dass es mir gut geht. Mir entsprechend zu leben ist dafür meine Basis.

Mein Ausweg aus meinen Schuldgefühlen war der Groll. Ich führte stundenlang innere Monologe darüber, wie furchtbar mein Mann sich doch benahm, und mit jeder inneren Grollrunde wurde mein vorangegangener Gegenangriff ihm gegenüber berechtigter und sein Verhalten noch unmöglicher. So redete ich mir jedenfalls mein Verhalten schön. So kam es dann auch spätestens nach ein, zwei Tagen dazu, dass ich ihm mit dem Gefühl völlig im Recht zu sein – von meinem Groll angeheizt – den Kopf wusch für seine Sprüche oder schnippisch und aggressiv auf ihn reagierte…selbst wenn er gerade normal mit mir umging…ein ganz schön toxischer Teufelskreis, der sich zu richtigen Zerfleischungsexzessen zwischen uns ausweitete…Familienkrankheit Alkoholismus halt…total irres unreflektiertes Verhalten in einem Kreislauf aus ständigem Reagieren aufeinander.

Was für eine Verschwendung von Lebenszeit. Was hätte ich alles Schönes tun und wahrnehmen können, wenn ich früher aus der Wut herausgefunden hätte und nicht im grolligen A…loch-Modus gelandet wäre – in dem ich mich zudem gar nicht mochte. So war es damals aber. Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern. Gestaltbar ist nur der Moment. Ich bin dankbar dafür, dass ich diese Zusammenhänge für mich finden konnte. Wie eigentlich? Wo war der Auslöser, dass ich aus der wütenden Opferhaltung ausstieg und Verantwortung für mein Verhalten übernahm?

Ausgangspunkt war die Inventur und das Verständnis, das ich dadurch dafür entwickelte, warum ich so fühlte wie ich fühlte und dadurch ausgelöst so handelte wie ich handelte. Ich schämte mich fürchterlich. Mir half es von anderen zu erfahren, dass sie in der Vergangenheit auch schrecklich gehandelt haben und auch wie ich selbst bis heute immer Mal wieder die Kontrolle über ihr Verhalten verlieren, weil die Gefühle mit ihnen durchgehen. Mir half es die Option zu erkennen, meinen Frieden mit Vergangenem zu machen, indem  ich ehrlich zu mir bin und es annehme wie es halt war. Ich darf es dann loslassen, mir verzeihen und probieren, es   einen Tag nach dem anderen anders und besser zu machen.

Ich glaube irgendwann war da einfach der Punkt, an dem ich kein Opfer meiner Gefühle mehr sein und bewusst handeln wollte. Was ins Bewusstsein gelangt kann verändert werden, schrieb mir damals eine Freundin aus dem Onlinemeeting und ab da hatte ich meine Handlungsfähigkeit zurück. Ich kann mich verändern. Ich brauche nicht zu verdrängen, zu beschönigen oder zu grollen, um falsches Verhalten vor mir selbst und anderen zu legitimieren. Ich kann für mich und mein Verhalten Verantwortung übernehmen  – unabhängig davon, was mein Gegenüber tut. Ich kann mich nach meinen Maßstäben anständig verhalten obwohl ein anderer sich gerade daneben benimmt.

Für mich durchbricht dieser Gedanke sehr viel emotionale Abhängigkeit von anderen Menschen. Er macht mich frei, selbst überlegt zu agieren, statt nur in gewohnter Weise zu reagieren. Das schaffe ich nicht immer, aber mit der Führung meiner Höheren Macht schleift sich über die Zeit vieles ab, über das ich vor nicht all zu langer Zeit noch fast täglich gestolpert bin. Meine Beziehungen ändern sich mit mir. Je nach Tagesform empfinde ich sie mal als besser und mal als schlechter, mal als zufriedenstellend, mal als völlig unbefriedigend und manchmal bin ich heute tatsächlich einfach nur froh und glücklich – dankbar, dass ich meine Lieben habe, dass ich Liebe geben und empfangen darf, und dass ich lebe statt gelebt zu werden.

Ein Al-Anon Mitglied aus dem Online-Meeting Family + Friends

 

 

 

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