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Das bin ich mir wert

Abbildung einer GeburtstagszahlWährend der Zeit mit dem aktiven Alkoholiker wussten die Ärzte häufig nichts mit meinem desolaten Gesundheitszustand anzufangen. Auf Nachfragen zu meiner Lebenssituation fand ich immer gute Ausreden für Erschöpfung, Schlaflosigkeit und Unruhe. Ich wollte nicht erzählen, was sich tatsächlich hinter meiner Fassade versteckte. Angst, eine riesige Angst. Wovor eigentlich? Versagt zu haben, weil der Alkoholiker in meinem Leben trotz Versprechungen nicht aufhörte zu trinken. Entdeckt zu werden, dass die geschminkten Augen meine verheulten Augen überdecken sollten. Beim Lügen erwischt zu werden, weil ich das Geld für die Geburtstagssammlung nicht daheim vergessen hatte, sondern so kurz vor dem Monatsende, gar kein Geld mehr zur Verfügung stand und so weiter.
Meine damalige Hausärztin wusste von meinem trinkenden Ehemann, denn er war auch ihr Patient. Sie tat ihr bestes und verschrieb mir letztendlich Beruhigungsmittel, Herzmedikamente und Stimmungsaufheller. Wie sollte sie auch hinter die Ursachen kommen, wenn ich sie ihr nicht erzählte. Gefüllt mit Scham und Schuld hatte ich alles weggepackt, was irgendwie die Realität verraten konnte. Ein Umdenken oder die Einsicht, dass ich etwas anders machen müsse, kam mir bei einem Krankenhausaufenthalt in der Neurologie, wo ich zur Abklärung unklarer Symptome behandelt wurde. Mit mir im Zimmer war eine Frau, die offen von ihrem Mann erzählte, der ständig trank und sie im Laufe der Jahre unter immer neuen Zwängen litt, die sie zwischen Neurologie und Psychiatrie pendeln ließen. Sie war mindestens dreißig Jahre älter als ich und mir wurde beim Zuhören klar, da wollte ich nicht hin. Ich war doch erst Anfang dreißig und hatte ein kleines Kind, dass noch viele Jahre eine Konstante im Leben brauchen würde. Der Weg weg von diesem Wahnsinn war nur möglich mit kompletter Ehrlichkeit. Es hat noch mehr als drei Jahre gedauert, bis ich aufrichtig bereit war, mich und meine Situation real zu betrachten.
Von da an konnte ich auch um Hilfe bitten und ehrlich zu mir stehen. Im Laufe dieser Zeit fand ich Al-Anon. In den Meetings wurde mir klar, dass ich nicht verheimlichen muss, wie es um mich steht. Eine ehrliche Lebensbasis ist der Weg in eine nie gekannte Unabhängigkeit und inzwischen auch ein lebenswertes, erfülltes Leben. Mein eingeschlagener Weg dauert schon einige Jahre an. Das Praktizieren anderer Verhaltensweisen und anderer Einstellungen, die ich in den Gruppen lernen durfte, haben mein Leben und meine Gesundheit entscheidend verändert. Meine Krankheiten sind heute anderer Natur. Ich brauche sie nicht mehr, um mich überhaupt zu spüren oder wahrgenommen zu werden. Wenn was zwickt, auch in der Seele, darf ich heute darüber sprechen. Das bin ich mir wert und es ist meine eigene Verantwortung. Das Paket mit Schuld und Scham konnte ich vor vielen Jahren mit unbestimmten Ziel abschicken. Damit ich nicht wieder zum Empfänger werde, hole ich mir in den Meetings die Erfahrung, Kraft und Hoffnung aller, die einen ähnlichen Weg mit mir teilen.
Schön, dass es uns gibt
eine Al-Anon
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