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Ausstieg aus dem Gedankenkarussell

Foto Fluglinien im AbendrotDas Zusammenleben mit dem trinkenden Alkoholiker hatte mich von einer gut sortieren Frau zu einem Menschen gemacht, der wirr durch den Tag lief und abends erschöpft ins Bett fiel mit dem Gedanken und Gefühl, mal wieder nichts geschafft zu haben.

Unsortiert in den Alltag sah bei mir häufig so aus: Die Wäsche in den Keller bringen und beim Runtersteigen auf der Treppe plötzlich die Dreckflecken sehen. Dann war der Auftrag verschwunden. Keine Wäsche in die Maschine, nein, den Besen geholt, den Eimer gefüllt und es ging ans Putzen. Beim Öffnen der Putzmittelflasche fiel mein Blick in den Schrank. Was war denn da los? Alles durcheinander, also erst einmal alles raus und anfangen mit Ordentlich machen. Dann klingelt das Telefon. Treppe rauf und natürlich schnell an den Apparat, könnte ja wichtig sein. Nur ein Werbeanruf, aber die Spülmaschine ist fertig. Ausschalten, aufmachen und ach, besser gleich ausräumen, wenn ich schon mal dabei bin. So oder ähnlich lief es fast tagtäglich.
Als ich das erste Mal vom Ersten Schritt im Meeting hörte: Wir haben zugegeben, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten, war ich sofort mit dem ersten Teil dieses Schrittes sehr einverstanden. Klar, ich hatte den Kampf verloren. Der Alkohol war stärker gewesen als alle Aktionen, den Alkoholiker vom Trinken abzubringen.
Und der zweite Teil, was erzählten die da? Ich hatte nicht nur mein Leben, sondern auch das meines Mannes gemeistert. Und wie. War er nicht immer pünktlich und gut angezogen zur Arbeit gegangen. Hatte ich nicht unzählige Male seinen Arbeitgeber davon überzeugt, dass er nicht kommen konnte, weil er ein Magenleiden hat. War nicht unser Haushalt und Familienleben für einige unserer Freunde und die Familien ein Musterbeispiel an Harmonie und Glück.
In meinem Kopf schon, aber die Realität sah anders aus. Mich gab es gar nicht. Ich hatte weder Bedürfnisse noch war ich mit irgendeinem Gefühl, außer dem der Überforderung, in Kontakt. Ich konnte mich nur spüren, wenn ich in Aktion war, dann war ich richtig und berechtigt.
Am ersten Abend in der Al-Anon Gruppe hatte ich das Programmkärtchen mit vielen wunderbaren Sprüchen bekommen. Einer gefiel mir besonders gut: Nur für Heute will ich mir ein Programm machen. Ich werde es vielleicht nicht genau einhalten, aber ich will wenigstens eines haben. Ich will mich damit vor zwei Übeln bewahren: vor Hast und vor Unentschlossenheit. Das war mein erster Wegweiser. Ich begann mit ganz kleinen Schritten. Schrieb erst einmal nur fünf Aktionen auf, von denen ich nur zwei erledigen konnte und nahm mir vor, mich am Abend für die Erledigung bei mir selbst zu bedanken. Keine Abwertung für das Nichterledigte. Langsam nahm das Muss-noch-schnell-erledigt-werden-Karussell an Fahrt ab. Ich konnte mich nach und nach auf jeweils eine Arbeit beschränken. Immer, wenn ich wieder von der eigentlichen Beschäftigung abweichen wollte, konnte ich mich an mein Programm erinnern und mir selbst sagen: erst das eine fertigmachen, dann kommt die nächste Aktion dran. Oft unterbrach ich auch meinen Drang auf etwas anderes zu springen, indem ich mich hinsetzte und mir in der Al-Anon Literatur eine Bremse suchte. Ein paar Seiten gelesen und danach nochmal die Slogans im Kopf wiederholt. So merkte ich schnell, dass es zu meinem inneren Frieden beitrug, mich nicht immer zu überfordern. Eile mit Weile. Das Wichtigste zuerst. Nur für Heute. All diese einfachen Weisheiten helfen mir auch heute noch jeden Tag, mich nicht selbst zu überholen und von meinem eigenen Gedankenkarussell schwindelig zu werden.
Eine sehr abgebremste und dankbare Al-Anon
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