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Al-Anon hat etwas für mich

Abbildung einer GeburtstagszahlIch wusste schon seit knapp einem Jahr von diesem Blog und fühlte mich nie so richtig berufen, einen Artikel zu verfassen…eigentlich wollte ich das erst, wenn ich mit meiner Genesung „fertig“ bin. Als ich das im Meeting erwähnte, schallte lautes Gelächter durch den Raum, und ich lachte genauso darüber. Natürlich ist das absurd. Niemand wacht eines morgens auf und denkt „Halleluja, endlich bin ich gesund!“
Aber in Wahrheit trifft das doch zu. Irgendwann merkt man, dass alles nicht mehr so ist wie früher. Ich wache zum Beispiel jetzt morgens auf und freue mich auf den neuen Tag. Obwohl es draussen noch dunkel ist, ich vielleicht erkältet bin und zum Zahnarzt muss. Dann danke ich Gott, dass ich gut schlafen konnte (als Mutter zweier Kinder freut man sich doch über jede gute Stunde Schlaf) und dass ich diesen Tag wieder neu erleben darf und mit Sicherheit fällt mir noch etwas ein, auf dass ich mich freuen kann. Ich denke jetzt NIE mehr, wie schrecklich, trostlos und hoffnungslos alles ist, und dass ich nicht mehr weiter weiss. Mein Leben fühlt sich leicht und frei an und ich fühle mich sicher.
Ich bin aufgewachsen in alkoholkranker Familie. Mein Vater ist kein Alkoholiker. Wie kann das zusammenpassen? Warum wirkt Al-Anon dann doch so gut für mich?
Mein Vater ist kein Alkoholiker – das behauptet meine Mutter. Er trinkt gerne, und manchmal zu viel. Sie hat ihn immer verteidigt und auch vor uns Kindern in Schutz genommen und alles verharmlost: Er verträgt es nicht! Er meint es nicht so! Es tut ihm leid!
Wie konnte sich meine Wahrnehmung so dermaßen von der meiner Mutter unterscheiden? Wie konnte sie das alles „nicht so schlimm“ finden? Bei meinem ersten Al-Anon Meeting bekam ich eine Broschüre in die Hand, „Das Karussell des Leugnens“, und mir wurde alles klar. Meine Mutter war die Königin des Leugnens und ich lebte in ihrem Karussell. Dank Al-Anon schaffte ich es ziemlich schnell, davon abzuspringen.
Meine Kindheit verbrachte ich im emotionalen Chaos. Meine Mutter schrie, heulte und jammerte, und trotzdem verteidigte sie nach außen meinen Vater, selbst wenn er sie geschlagen und betrogen hatte.
Sie liebten und sie schlugen sich, und ich fühlte mich unsichtbar.
Viele Jahre Depressionen, eine Borderline Störung und viele Therapien später kam ich zu Al- Anon. Erst dort lernte ich, dass mein Gefühl richtig war. Wenn auch mein Vater kein Spiegeltrinker ist, hatte und habe ich ein Problem mit seinem Trinken – und deshalb war und bin ich bei Al-Anon genau richtig. Das Programm wirkt, weil ich eine von vielen bin. Ich lebe und liebe die Gemeinschaft und lerne Demut, Vertrauen, Selbstliebe.
Es geschehen für mich jeden Tag Wunder, weil ich das Programm anwende und Bezug zu meiner Höheren Macht (nennen wir sie der Einfachheit halber Gott) gefunden habe. Ich habe seit Anfang des Jahres eine schwere Autoimmun Erkrankung und bin davon genesen. Während viele mit meiner Krankheit im Rollstuhl sitzen, bin ich fit und beweglich und kann mein Leben meistern. Das ist eins meiner größten Wunder. Ein weiteres ist, dass ich lerne, meinen Eltern zu verzeihen, mich einerseits abzugrenzen und trotzdem ihre Liebe zu erkennen. So wie sie sie zeigen können. Sie anzunehmen fällt mir noch schwer, und ich bin nicht frei von Wut und Groll. Aber es wird wesentlich besser, und Panikattacken und Depressionen bleiben aus.
Es heisst in der empfohlenen Al-Anon Begrüßung, kein Problem sei so groß, dass es nicht zu meistern wäre. Die Slogans und Tagessprüche helfen mir, meinen Tag zu strukturieren und bei mir zu bleiben, meine Grenzen kennenzulernen, und nicht etwas zu tun, nur um mir die Anerkennung oder Liebe anderer Menschen zu sichern. Was andere denken oder tun, geht nur sie etwas an.
Ich lerne, gut für mich zu sorgen, und ich mag mich so wie ich bin. Ich habe gute und nicht so gute Eigenschaften, aber ich bin mit Sicherheit liebenswert. Das kann ich jetzt verstehen. Ich habe nur noch selten Wutanfälle, ich möchte meine Kinder nicht in dieselbe Situation bringen, wie ich sie erlebt habe. Das gelingt mir immer besser. An meinen Charakterfehlern, zum Beispiel meinem Mann gegenüber, arbeite ich. Aber ich darf erkennen, dass er ebenso seine Fehler hat, und wir beide, wie alle Menschen, vor Gott gleich viel wert sind. Gleichzeitig bin ich unendlich dankbar für seine Liebe, die mich trägt und hält.
Abschliessend möchte ich aus dem heutigen Tagesspruch in „Mut zur Veränderung“ zitieren, denn es passt sehr gut: „Wenn ich wirklich lernen will, wie ich einfach und glücklich in meine Umwelt und in meine Beziehungen hineinpassen kann, hat Al-Anon etwas für mich“.  Genau so ist es. Ich bin glücklich, jeden Tag, immer nur für heute.
Dafür bin ich zutiefst dankbar.
Eine Al-Anon, 41, aufgewachsen in alkoholkranker Familie

Ein Kommentar

  1. Veronika schrieb:

    Liebe erwachsene Tochter alkoholkranker Eltern, DANKE, dass Du Dir die Zeit für diesen Beitrag genommen hast. Ich kenne das SO GUT, was Du beschreibst und ich finde Al-Anon auch sehr hilfreich für MEIN Leben mit der Familienkrankheit Alkoholismus. Meine Mutter ist „nass“ gestorben, mein Vater ist vielleicht trocken. Mein Leben ist (meistens) schön. Danke für Deinen Beitrag und schöne 24h! Veronika

    Donnerstag, 21. Dezember 2017 um 12 | Permalink
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