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Meine Kinder haben nichts mitbekommen

Foto des Flyers Das diesjährige „Michel-Meeting“  am 25.03.2017 ist die Al-Anon Jubiläumsveranstaltung in Hamburg.
Der Fachvortrag von NACOA Berlin, der Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien e.V. vertieft das Thema:“Wenn Eltern süchtig sind, leiden die Kinder“. Ebenfalls berichten Angehörige von Al-Anon und ein Mitglied von A.A. wie ihnen Selbsthilfegruppen bei der Verbesserung ihrer Lebensumstände geholfen haben. Außerdem wird es die Möglichkeit geben, an Meetings teilzunehmen.

Der Flyer zur Veranstaltung ist zu finden unter:
http://al-anon.de/veranstaltungen/michelmeeting/

Meine Kinder haben nichts mitbekommen …
Das ist es, was ich manchmal so höre, wenn über die Trinkzeit des Partners oder der Partnerin in Meetings oder auch landläufig gesprochen wird. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Satz stimmt …
Unsere Tochter hat ihren Vater nie trinkend erlebt, weil er die Woche über in einer anderen Stadt arbeitete und wohnte. Bevor ich zu Al-Anon kam, hätte ich nicht eingeräumt, dass sie trotzdem so viel mitbekommen und vor allem auch so viel abbekommen hat. Die Streits, Spannungen und Konflikte, die wegen der Auswirkungen des Trinkens offen und unterschwellig immer an der Tagesordnung waren, hat sie im Prinzip mit der Muttermilch eingesogen. Ich ahnte es und konnte es nicht abstellen, war in der ganzen belasteten Situation gefangen und ein einziges wandelndes Schuldgefühl. Unsere Tochter war, als sie klein war, ein sehr stilles, zurückhaltendes und folgsames Kind. Sie erkrankte schon mit zwei Jahren an einer heftigen psychosomatischen Hautkrankheit mit schmerzhaften Komplikationen und wir hatten über mehrere Jahre hinweg keine durchschlafene Nacht. Davon, dass es sich bei Alkoholismus um eine Familienkrankheit handelt, die alle Angehörigen psychisch und physisch in Mitleidenschaft zieht, hatte ich noch nichts gehört.

Unsere Tochter wusste instinktiv irgendwie immer, dass ihr Vater mit einer schweren Krankheit kämpft und so war er bei ihr ganz selbstverständlich entschuldigt und hatte ihr Mitgefühl. Mit wem sie nicht klar kam war ich, die verzweifelte Szenen machte, hysterisch und gereizt war – eine Mutter im Ausnahmezustand – „total durchgeknallt“, wie ich in der Pubertät zu hören bekam – verständlicherweise, kann ich heute sagen.

Die immer angespannte Familiensituation konnte von einer Sekunde auf die andere kippen und die Stimmung war immer unberechenbar – was für eine Belastung!
Als unsere Tochter fünf Jahre alt wurde und ich am Telefon hörte, dass mein Partner einen massiven Rückfall bzw. wieder eine extreme Trinkphase hatte, suchte ich endlich Hilfe und fand ein Al-Anon Meeting. In diesem Raum hatten etliche ähnliche Erfahrungen als Eltern mit dem Trinken eines Partners wie ich. Ungemein wohltuend und beruhigend für mich war das Gefühl, dass es viele gleich Betroffene gab und ich nicht mehr die Einzige mit diesem Problem war.
Von dem Programm, mit dem gearbeitet wird, verstand ich anfangs kaum etwas, außer, dass es im Al-Anon Programm nicht um Schuldgefühle geht. Im Gegenteil, ich kann jeden Tag neu beginnen, denn was gestern war, ist nicht mehr zu ändern. Meine Fehler, die ich früher gemacht habe, kann ich mir von Zeit zu Zeit ansehen, ich war nur so weit wie ich war und wusste es nicht besser. Ich bleibe bei der Rückschau jedoch nicht stehen, sondern schöpfe aus den Meetings, der Literatur und dem Programm die Kraft und den Mut im Heute zu leben und nur einen Tag nach dem anderen, eine Stunde nach der anderen bewältigen zu müssen.
Nach einigen vielen Stunden, die mich Al-Anon Meetings und Al-Anon Freunde inzwischen begleiten, haben sich die Krisen in unserer Familie gelegt, meine Depressionen, körperlichen und psychischen Beschwerden wesentlich verbessert und unsere Lebensqualität hat sich erheblich erhöht. Es gibt keine Garantie, dass der Partner trocken wird. Es ist wie bei anderen Krankheiten wie Krebs, MS oder Diabetes, dass der Verlauf nicht diagnostiziert werden kann.
Al-Anon hat mir geholfen einen Umgang damit zu finden und mittlerweile kann ich mit der Familienkrankheit gut leben. Letztendlich hat sich für mich bewahrheitet, dass, wenn auch nur einer in der Familie etwas für sich tut, wie zu Al-Anon zu gehen, wirkt es sich auf die anderen Familienmitglieder aus. Unsere Tochter studiert inzwischen und macht ihren Weg und wenn sie im Laufe ihres Lebens in Krisen oder Not kommt, weiß sie wo sie Hilfe finden kann: bei Al-Anon gibt es auch Gruppen für Angehörige, die in alkoholkranker Familie aufgewachsen sind.

 

Ein Kommentar

  1. Heike schrieb:

    Oh ja, wie lange dachte auch ich, dass unsere Kinder nichts mitbekämen von unseren lautstarken Streitgesprächen …erst vor zwei Jahren erzählte mir meine damals 20-jährige Tochter, wie oft sie seit dem Grundschulalter oben auf der Treppe saß und ihren kleinen Bruder getröstet habe. Ich kann es nicht ungeschehen machen, aber heute kann ich dank Al-Anon meine Verantwortung für mein damaliges Verhalten übernehmen, kann Wiedergutmachung leisten, und jeden Tag üben, in der Realität zu leben. Auch wenn meine nun erwachsenen Kinder nichts von Al-Anon wissen wollen, so erleben sie doch meine Veränderung und „wissen“, dass es Hilfe geben kann.

    Mittwoch, 8. Februar 2017 um 16 | Permalink
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