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Ein Brief an Schüler

Ich bin Jutta, von Al-Anon, das sind die Gruppen der Familien und Freunde von Alkoholikern und ich möchte euch gerne etwas aus meinem Leben und den Al-Anon-Gruppen erzählen. Vor über 30 Jahren lernte ich ein sehr netten jungen Mann kennen und verliebte mich in ihn. Wir kamen  zusammen und alles schien gut und schön, wir waren glücklich miteinander.  Nur sein Trinkverhalten war mir von Anfang an unheimlich.

Er trank fast jeden Abend, zwar nur Wein, aber wenn er mal eine Flasche irgendwo vergessen hatte, dann fuhr er abends noch  20 Km, nur um den Wein zu holen. Ich sprach ihn dann darauf hin an, und er versicherte mir, dass alles in Ordnung wäre, mir zuliebe würde er jetzt aber nur noch am Wochenende Wein trinken. Das ging auch eine Zeit lang gut, aber dann blieben zufälligerweise am Wochenende immer Reste-Flaschen übrig, die er dann in der Woche trank, damit der Wein nicht schlecht würde.

Alkoholismus ist eine Art Stoffwechsel-Krankheit, die Menschen sind NICHT schlecht oder willenlos, sie sind „nur“ krank. Ein Alkoholiker kann genauso wenig „einfach“ mit dem Trinken aufhören, wie man einem Diabetiker sagen kann, „jetzt höre doch mal auf, Diabetiker zu sein“. Das geht nicht ! Ein Alkoholiker muss trinken ! So wie beim Diabetiker einmal der Schalter der Bauchspeicheldrüse auf Diabetes umgelegt wurde, so geschieht es bei einem Normaltrinkenden zum Alkoholiker. Und Alkoholismus ist eine unaufhörlich weiter schreitende Krankheit, die immer schlimmer wird, wenn sie nicht gestoppt wird.

Eine Woche vor unserer Hochzeit habe ich dann beim Saubermachen die ersten versteckten Schnapsflaschen in unserer Wohnung gefunden und noch überlegt, ob es denn sinnvoll ist, einen Mann zu heiraten der trinkt.  Aber wie immer ist mir ein Grund eingefallen, warum er jetzt trinken muss und nach der Aufregung der Hochzeit würde das sicher alles wieder besser werden. Genau wie der Alkoholiker habe auch ich mir jahrelang etwas vorgemacht und wollte es nicht wahrhaben!

Unser Leben zuhause war schon lange nicht mehr schön, wir hatten öfters Streit, abgemachte Verabredungen wurden von ihm oft nicht eingehalten und er versprach, mit dem Trinken  aufzuhören. Heute weiß ich, dass er es damals ernst meinte, aber ein Alkoholiker hat einfach keine Chance, bis ihm das Wasser bis zum Hals steht, bis er an seinen eigenen Tiefpunkt kommt.  Solange muss er trinken, das habt ihr vielleicht  schon mal von den Anonymen Alkoholikern  gehört.

Auch bei uns wurde es immer schlimmer und eines Tages konnte ich endlich bei den Anonymen Alkoholikern anrufen, in den ZDF-Suchtwochen hatte ich gehört, dass es dort auch Gruppen für die Familien gab. Ich hatte dann auch schnell eine Angehörige am Telefon, die mir die Krankheit Alkoholismus erklärte. Dass viele Alkoholiker heimlich trinken und auch lügen und betrügen um ihren Alkoholkonsum zu decken. Und dass das Trinken bei Alkoholismus ähnlich wie das Nießen bei einer Erkältung ist, ein Symptom der Krankheit, das nicht zu unterdrücken ist. Das Trinken ist ein Zwang !

Seitdem gehe ich in die Al-Anon-Gruppen und habe dort gelernt, dass ich zuallererst mal KEINE SCHULD AM TRINKVERHALTEN meines Mannes habe. Niemand ist Schuld! Und wir Angehörigen können uns auf den Kopf stellen oder sonst etwas anstellen, um einen Alkoholiker vom Trinken abzuhalten ! Es funktioniert nicht, der Alkoholiker muss es selber wollen.

Ich habe bei Al-Anon gelernt mit der Krankheit meines Mannes umzugehen, wieder Lebensfreude für mich zu entwickeln, mich zu schützen und die Zeit abzuwarten, bis es zu einer Entscheidung kam.  Mein Mann konnte dann irgendwann mit Hilfe einer monatelangen Therapie trocken werden und ist jetzt schon seit über 16 Jahren trocken.

Wir haben nach der Trockenheit noch ein Kind bekommen, unser Sohn ist jetzt 13 Jahre alt und er hat seinen Vater zum Glück noch nie betrunken erleben müssen. Denn das Leben  von Kindern in Alkoholkranken Familien ist die reinste Hölle! Keinem kann man erzählen, was zuhause so passiert, dass Mama oder Papa oft betrunken sind und der andere dauernd „ausrastet“.

Viele Kinder leiden manchmal mehr unter dem Verhalten des Angehörigen, als unter dem des Alkoholikers, denn Alkoholiker sind bei richtigem „Pegelstand“ oft ganz lieb, aber wehe, wenn nicht ! Es kann zur körperliche und seelischer Gewalt bis hin zu Missbrauch kommen. Und der oder die Angehörige ist ständig gereizt und überfordert. Überhaupt dreht sich in Alkoholikerfamilien meist alles um den Alkohol.

Die Bedürfnisse von  Kindern kommen nicht nur zu kurz, sie werden oft gar nicht wahrgenommen. Oft müssen sie sich auch noch um kleinere Geschwister kümmern, da sowohl der Alkoholiker sowie der Angehörige genug mit sich selbst zu tun haben. Wie schon gesagt, das Leben von Kindern in Alkoholkranker Familien ist die Hölle !

Deshalb habe ich euch von Al-Anon erzählt, vielleicht kennt ihr jemanden, der Angehöriger oder Kind in alkoholkranker Familie ist. Schreibt euch bitte alle folgende Internet-Adressen ins Hausaufgabenheft, die könnt ihr dann weitergeben und erzählen, dass ihr in der Schule davon gehört habt .

  • www.al-anon.de dort kann man etwas von den Familien von Alkoholikern nachlesen und erfahren, wo und wann sich Gruppen treffen.
  • www.alateen.de da kann man erfahren, wie es anderen Kindern in alkoholkranker Familien  ergangen ist, und wo die sich treffen.

Ich wünsche euch allen, dass ihr bei der nächsten Gelegenheit zum Koma-Saufen oder bei der nächsten Flat-Rate-Party daran denkt, dass jeder der entweder viel oder regelmäßig Alkohol trinkt,  russisches Roulette spielt:  habe ich die Veranlagung zum Alkoholiker? Oder habe ich nur Glück und habe sie nicht? Ich hatte nur Glück, mein Mann leider nicht, der musste den Weg sehr weit runter gehen. Ich wünsche euch allen dieses Glück im Leben, eine Menge Verstand und den Mut „Nein“ zu sagen, wenn es um zuviel Alkohol geht, denn Alkohol ist ein Nervengift und schaltet als erstes den Verstand ab !

2 Kommentare

  1. Christine schrieb:

    Liebste Jutta,
    ich möchte Dir sehr danken für Deinen wunderbaren Brief und Deine Offenheit. Er beschreibt sehr einfühlsam was viele von uns erlebt haben. Geholfen hat mir sehr das Werkzeug des „Loslassens“, dass ich bei Al-Anon kennelernen durfte. Weil ich lernen durfte, dass niemand für die Krankheit eines anderen Menschen verantwortlich ist, konnte ich mich mit der Zeit aus der krampfhaften Fixierung auf den anderen lösen und mein Leben glücklicher und leichter meistern. Ich konnte aufhören darunter zu leiden, was andere tun oder wie sie reagieren – konnte aufhören für andere zu tun, was sie selbst tun konnten – konnte aufhören zu manipulieren was andere essen sollen, wann sie aufstehen müssen oder ihre Rechnungen zu bezahlen haben. Loslassen half mir meine Situation realistischer und objektiver zu sehen und dadurch vernünftige Entscheidungen zu treffen. Und dies ist nur eines von vielen Werkzeugen, das ich bei Al-Anon kennenlernen durfte und dass mir zu einer um ein Vielfaches verbesserten Lebensqualität verhilft. Al-Anon ist eine weltweite Organisation, in welcher Familien und Freunde von Alkoholikern Hilfe und Verständnis erfahren und weitergeben, indem sie Erfahrung, Kraft und Hoffung austauschen und miteinander teilen.

    Montag, 3. Mai 2010 um 19 | Permalink
  2. Jutta Al-Anon schrieb:

    Ja, Loslassen ist ein wichtiges Werkzeug in Al-Anon. Du hast es schön beschrieben Christine, vielen Dank für diesen passenden Kommentar! Loslassen darf auch nicht mit „Fallenlassen“ verwechselt werden und ist eine schwierige Kunst. Das kann ich auch heute noch immer wieder in unseren Meetings weiterlernen und üben.

    Montag, 19. Juli 2010 um 15 | Permalink

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